8. Juni – 27. Juli 2019, Galerie Karsten Greve, St.Moritz.
Lagunas Gemälde und Collagen lassen uns eintauchen in die üppige Vegetation Brasiliens mit Blick auf die enorme Pflanzen- und Blumenvielfalt in kräftigen leuchtenden Farben und Grünschattierungen, die eine tropische Atmosphäre schaffen. Der Künstlerin gelingt es, den ganzen Facettenreichtum ihrer unmittelbaren Umgebung und ihrer eigenen inneren Bilderwelt festzuhalten. Meisterhafte Gegenüberstellungen von gleichzeitig organisch und geometrisch erscheinenden Formen erwecken den Eindruck anhaltender Bewegung und stetiger Veränderung. Ihre Kompositionen sind wie Palimpseste aus visuellen Eindrücken, teils verdichtet, teils zerlegt in Fragmente von unterschiedlichsten Gegenständen und Szenerien, sogar figürliche und abstrakte Malstile werden vermischt und gehen ineinander über.
Lagunas Gemälde wirken teils expressiv und voller Energie, teils leicht und frei fließend, zumeist scheinen sie durchflutet von atmosphärischem Licht. In einer Serie von Gemälden und Collagen – Landschaft (Paisagem), Garten (Jardim) und Atelier (Estúdio) – prallen Innen- und Außenraumansichten aufeinander. Zum einen arbeitet die Künstlerin mit einem Patchwork aus Straßenmotiven, wildwuchernden Grünflächen und Architekturfragmenten, die sie durch das Fenster ihres Ateliers in Rio de Janeiro beobachten kann. Andererseits verfügt sie in ihrem Atelier über ein Konvolut an Schnappschüssen von ihrem dschungelartigen Garten, von Ansichten Rio de Janeiros und Abbildungen von Meisterwerken der Kunstgeschichte. Weitere Inspirationsquellen bilden die an eine Pinnwand gehefteten Notizzettel und Zeitungsausschnitte, ferner Bücher und Kataloge, die stapelweise auf Tischen und Bänken abgelegt sind, sowie andere verschiedene dekorative Objekte in ihrer Werkstatt.
Im Ergebnis sind Lagunas Werke das Resultat einer dialektischen Beziehung zwischen ihrer eigenen künstlerischen Vorstellungs- und Bilderwelt und derjenigen anderer Künstler. In lebendigem Austausch mit einer Vielzahl von Kunststudenten Rio de Janeiros lässt sie in Acryl und anderen Techniken beliebige Bildmotive und Farben auf die Leinwand bringen. Ihr Atelier verwandelt sich dabei in eine Werkstatt: Die Künstlerin diskutiert mit ihren Studenten am Anfang des Arbeitsprozesses die Themenkreise und lässt sie über Wochen an einer Leinwand arbeiten. Inspiriert von den Bildfragmenten ihrer Studenten bringt sich Laguna dann mehr und mehr selbst ein und führt das Werk schließlich in der letzten Schicht ganz alleine zur Vollendung. Unter Verwendung von selbstklebendem Kreppband unterteilt sie das Bild in Flächen, Linien und Winkel, um diese im Übermalungsprozess zu erhalten und zu einem späteren Zeitpunkt wieder sichtbar zu machen. Die finale Ölmalschicht der Künstlerin liegt also auf mehreren vorangegangenen Acrylmalschichten; das Werk wird dabei mehrmals gedreht, wodurch neue Bildzusammenhänge und unerwartete Perspektiven entstehen. Lagunas Arbeiten verlangen bewusste Wahrnehmung, um einzelne Bildpartien in ihrem jeweiligen Kontext zu lesen. Im Gegensatz zum Konzept der Kubisten beabsichtigt Laguna keine Synthese des Bildgegenstands. Sie misstraut dem Wunsch nach Synthese in der Erkenntnis, dass die Gegenwart außerordentlich wandelbar ist und beherrscht wird von einer unaufhaltsamen Bilderflut, vom raschen Tempo des modernen Großstadtlebens und der sich stetig durchsetzenden Natur.
Lucia Laguna lebt und artbeitet in Rio de Janeiro. Sie war zunächst als Professorin für portugiesische Linguistik und Literatur tätig. Nach ihrem Ruhestand studierte sie an der Kunsthochschule in Rio de Janeiro (Escola de Arte Visuals do Parque Laga) und begann, ihre Werke in Kunstgalerien in Brasilien auszustellen. Sie wurde mit dem Preis des CNI-SESI Marcantonio Vilaça para as Artes Plàsticas (2006/2007) sowie dem PIPA Preis ausgezeichnet (2011 und 2015), der in Partnerschaft zwischen der PIPA Foundation und dem MAM-Rio verliehen wird. 1998 zeigte das Candido Mendes Cultural Centre in Rio de Janeiro ihre erste Einzelausstellung. Seitdem erschienen Lagunas Arbeiten in diversen Einzelausstellungen in Brasilien (im Museo de Arte do Rio, MAM) in Biennalen – wie der 30. Biennale von São Paulo (2012) – und wurden in Gruppenausstellungen wichtiger europäischer Institutionen integriert wie dem Martin-Gropius-Bau in Berlin, das IVAM in Valencia, Spanien und das Museum Van Kunst de Anvers in Belgien. Lagunas Werke sind Teil wichtiger öffentlicher Sammlungen Brasiliens und befinden sich im Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro, im Museo de Arte Moderna in São Paulo und im Museo Nacional von Brasilien.