Daniel Meuli: Utuon

Punkt 70, Champfer. 17. Februar – by appointment.

Das Geflüster der Lärchen

ist die forschungsähnliche Analyse der DNA des Engadins, wobei die typische Lärchenlandschaft, die die Identität des Engadins massgeblich ausmacht, wortwörtliche auf eine Nadel heruntergebrochen wird: Die fotografisch umgesetzte Reduktion der Landschaft auf eine Nadel. 

Im Herbst, der schönsten, majestätischsten, atemanhaltendste Zeit im Jahr im Engadin, verfärben sich die Lärchen Golden und verwandeln so das ganze Engadin und besonders die Silser Seenlandschaft, in einen einzigartigen Teppich an golden-funkelnden Baumwipfeln. Die Lärchennadel steht deshalb, wie die Blüte einer wunderschönen Blume, für die Essenz dieses goldenen Herbstes. Sie ist ein Symbol, eine Erinnerung an die verstrichene goldene Ruhe, eine Sehnsucht auf die baldige neue Goldene Zeit des Engadins, eine Warnung daran, dass nicht alles Gold ist, was im Engadin glänzt….

«Genau dann fangen für mich die schönsten Wochen im Jahr an, ein Farbflash, ein letztes Aufheulen der Natur vor dem langen monotonem Weiss.» stellt Daniel Meuli fest und fixiert die materielle Allegorie an der Wand. 

Wenn Daniel Meuli das goldene Glühen der Lärchen im grünen dunkeln Wald einfängt, erhebt sich dieses, Technik bedingt, funkelnd hellweiss auf den Schwarzweissen Momentaufnahmen. 

Sobald die letzten Farben verschwunden sind, fallen die Lärchennadeln entweder vom Maloja Wind herbeigeweht, oder von den ufernahen Bäumen, in den Silsersee, und finden dort, so denken die meisten, ihre letzte Ruhestätte. 

Doch anstelle das Geflüster der Lärchen gierig zu verschlingen, fangen die regelmässigen Wogen des Sees an, die Nadeln in einen vorrübergehenden Schlaf sanft zu schaukeln, bevor eine Wiedergeburt einsetzt als Silser Kugel.

Die Lärchennadeln werden dann ans Ufer getrieben und dort im ständigen Rhythmus der Wellen zu kleinen Kugeln geformt, die allmählich immer größer werden. Doch manche Lärchengeflüster verstummen für immer. Oder doch nicht? Die Kugeln, die nicht gefunden werden, sinken auf den Grund des Sees, wo sie Jahrzehnte weiterleben… Als ob der Silser See sein magisches Geheimnis um die Einzigartigkeit der Silser Kugeln nicht mit jedem teilen wollte…