Der Hummer, dieses „Protein für den armen Mann“

Threesome:
You, Me and the Art
„,
eine Ausstellung der Galerie 10 in St.Moritz.

Da haben sich zwei junge Künstler so sehr auf ihre erste, gemeinsame, Ausstellung im Frühling gefreut, und kaum waren ihre Werke von England nach St.Moritz geschickt, als weltweit die Corona bedingte Reisestille einbricht. Die Werke werden gehängt, die Künstler bleiben in England, sogar die Galerie muss schliessen. Die geplante Hängung wird von niemandem gesehen. Seit dem 11. Mai dürfen Galerien nun wieder begangen werden und nun zeigt die Galerie 10 St.Moritz die erste Schweiz Ausstellung des Künstler-Duos Waldburger-Stew.

Werke des Künstlerduos Waldburger – Stew in der Galerie 10 St.Moritz

Seit 6 Jahren kennen, lieben und ergänzen beide sich, sogar künstlerisch. 
Wie bei vielen Künstlerpaaren, gilt bei ihnen 1+1=3.
Aus ihrer beider schöpferischen Kräften erschufen sie nämlich, sich gegenseitig katalysierend, einen dritten allegorischen Partner, ihre Kunst, das materielle Produkt ihrer zerebralen Liebe. « Threesome: You, Me and The Art».

2014 lernten sich die Nachwuchskünstler Helen Waldburger und Eliott Stew an der Kunstuniversität Central Saint Martins, London, kennen. Viele gemeinsame Erfahrungen, lange erörtete Visionen, geteilte Überzeugungen haben seitdem ihr Leben stets dichter aneinander geflochten bis dieser fast eigenständige allegorischer Partner, die Kunst, gebar und sich entfaltete. 

Gemeinsame Aufenthalte im Engadin hat das junge Paar zu dieser Ausstellung verarbeitet. Helen, eine in Zürich geborene Schweizerin, die seit den ersten Kindheitsschritten St.Moritz und das Engadin mehrmals jährlich besucht und bewohnt, hatte Eliot selbstverständlich ihre Liebe zum Engadiner Tal nahegebracht. Für sie ist das Engadin ein Magnet, eine einzigartige Region, geprägt von majestätischer Schönheit und Respekt einflössender Kulturgeschichte mit grossen Künstlerfussstapfen, die jeder junge Künstler, Wunschträumen hinterherjagend, bewundert. Allemal ist es auch dann eklektischer, die gewohnte Zweitheimat mit den frischen Augen des alles neu entdeckenden britischen Freundes zu hinterfragen und neu zu entdecken. Und so flossen Wiederentdeckungen und Gespräche, Neuentdeckungen und neugeschaffene, gemeinsame Erinnerungen rund um St.Moritz in die jüngsten Facetten des Threesomes. Und genau darauf basiert diese aktuelle Ausstellung. 

Mit über 25 neuen Werken hoffen Waldburger und Stew, mit dem Publikum einen Dialog über die Konzepte von Partnerschaft zu eröffnen, insbesondere zum Thema der Deutungsmöglichkeiten der transzendenten Werte von Partnerschaften.  

Helen Waldburger

Waldburgers künstlerisches Schaffen ist im ständigen Prozess, das Konzept einer gegenwärtigen Weiblichkeit zu interpretieren. In einer tagebuchartigen Routine, trägt sie Wasser- und Ölfarben auf durchsichtigen Stoffen auf. Damit spiegelt für die junge Künstlerin die luftige Transparenz des Stoffes nicht nur die Entblätterung der Künstlerseele vor dem Betrachters wider, sondern sie erfand eine Schaffensart, die einzigartig ist, und mit hoher Wiedererkennungskraft: Durchsichtige Leinwände bedingen ein Ballett von Schattenspielen, eine Vielschichtigkeit des Werkes und eine eigene Lebendigkeit. Nicht zufällig redet man bei Gemälden über «Lein-Wände»: «Wände, Mauern aus Leinen», die wie eine starre Trennwand, die bemalte Oberfläche von jeglicher dahinter verborgene Hinterfragung trennt. Doch durch die Durchsichtigkeit des Stoffes bricht Waldburger diese Wand auf und entblösst nicht nur den Holzrahmen, dessen sonst rein funktionale Rolle magisch mit dem Gesamtbild verschmilzt, sondern eine Mehrschichtigkeit an Ehrlichkeit. Wie man früher gern mit einer Taschenlampe spielte und Schattentiere auf der Wand zum Leben und zum Tanzen erweckte, macht sich Helen Waldburger die im Engadin fast schon Kult-artige Faszination des Lichts zum Mitspieler. Verwirrt, auf welcher Ebene die Szene sich abspielt, entsteht unwillkürlich eine Assoziation zu Platons Höhlengleichnis, in dem Sokrates dazu aufruft, die auf eine Höhlenwand projetzierten Schatten zu hinterfragen: Was ist Wissen? Was ist Illusion? Wieso fühlt sich der Mensch mit gewohnten Illusionen wohler? 

… auf einzigartige Weise „Lein-Wände“ „aufbrechen“…

Helen hat bisher weitgehend in Großbritannien ausgestellt und wurde für den NOVA Award nominiert. Sie ist zudem Mitbegründerin des „Collective Cuba Projects“ welches einen zwei monatigen Künstler Aufenthalt in Havanna, Kuba, organisierte und an dem sie auch teilnahm. 

Eliot Stew

Auf die eher aus dem Emotionalen entstehende Werke von Helen treffen ergänzend, die sehr aposteriorischen Reflexionen von Elliot. Wundervoll trübt der rein ästhetische erster Eindruck und entfaltet Narrative aus ersten Eindrücken, gründlichen historischen Recherchen und aktueller Wiederinfragestellung des untersuchten Objekts. Als würde man ein Notizzettel samt seinen Gedankengangskizzen in ein Gemälde verwandeln, erhebt Eliot Stew Leinwände zu Bühnen für sozioökonomisch-historische Geschichten. Um dem neuen Narrativ zu helfen, sich zu offenbaren, sketcht Stew erste Schritte der werdenden Komposition auf Papier, während er zum Thema recherchiert, und bringt dann den Gedankengang und das Endbild mit einer digitalen überarbeitung zum Abschluss. Sein Portrait des Heiligen Mauritius erklärt sich für einheimische Engadiner von selbst: er hatte sich mit einer sehr intensiven historischen Recherche auf seinen ersten Besuch im Engadin vorbereitet und darin das Schicksal des Märtyrer-Namensgebers von St.Moritz verdaut. Dem «In Lobster we trust» -‘Hummer-Bildnis’ allerdings, liegen dem breiten Publikum sicherlich unvertrautere Geschichten zugrunde: Das zum Sinnbild von Opulenz und Luxus gewordene orange Schalentier wird unter die Lupe genommen und das «St.Moritz Way of Eating» wird spielend, doch etwas neckend, in Frage gestellt: wer weiss schon, dass Hummer einst als «Proteine für den armen Mann» verschmäht wurden (von den ersten Europäischen Siedlern in Nord Amerika)? Dass Hummer gar die Billig-Nahrung waren, mit der die Sklaven auf der Durchreise durch Kuba gemästet wurden? Was zum mahnenden Symbolobjekt des Kollektivgedächtnisses eines Schandflecks der imperialistischen Europäischen Geschichte hätte geadelt werden können, thront heute in den feinen Porzellan-Gedecken, wie ein – je nach Perspektive – König der Haute-Cuisine – oder wie eine Allegorie der fröhlich-unbekümmerten-verschwenderischen Sünde der Völlerei … Um diese Kritik zu verdeutlichen malte Elliot Stew diesen idealtypischen Hummer bedeutungsstark verblasst. 

Hummer… «Proteine für den armen Mann»

Stew hat im Somerset House (London) ausgestellt, wurde für den CASS Art Prize selektiert und hat bei dem AUC.ARTLAB Residency Programm teilgenommen. Seine Werke wurden bisher weitgehend in Grossbritannien ausgestellt. 

Bis Ende Juni kann man die Ausstellung in der Galerie 10 St.Moritz sehen, danach voraussichtlich im September nochmals.