Lucien Smith X Nietzsche: Der Wald in Dir.

Aktuell zeigt der jüngste Ausstellungsspace in S-Chanf, die Stable S-Chanf, eine Soloausstellung des Wunderkinds der Kunstwelt: Lucien Smith, «Freiheit im Scheitern». 

Fast-monochrome Rottöne dominieren die Werke. Sie verschmelzen mit den Wänden eines Stalls, der an und für sich, zu einer fast schon zu offensichtlichen Abstraktion eines Waldes erwacht … Das Auge wird in eine sanfte Ruhe gewogen, die ebenfalls zu offensichtlich trübt. Das Rot rüttelt Emotionen und Intellekt, das Motiv kratzt perfide den Verstand: der Rundgang wird zur philosophischen Rekalibrierung des eigenen Lebens-GPS.

Der Wald in Dir? 

Was haben Lucien Smith, Fight Club und Nietzsche gemeinsam? Dieselbe Philosophie. Es geht um Lebenssinn und Lebensführung, proaktives Verständnis der Lebensführung und das noch proaktivere Erlangen einer Lebensphase als Meta-denkender Mensch. 

In Fight Club verkörpert das Narrativ einen typischen mitt-zwanzigjährigen Amerikanischen Konsumenten, dessen Lebensziele hingebungsvoll einzig und allein der Akkumulation von Reichtum und Konsumgütern gewidmet sind, die er wiederum in weitere Konsumprodukte der internationalen Megakorporationen re-investiert. Das stumpfe Konsumieren in post-modernen egalitären Gesellschaften hat das Individuum ausradiert, alle zu Armeen an Konsumsoldaten verschmolzen, in dem jeder jedem gleicht, austauschbar ist, ohne eigenartigen Tiefsinn, Erkenntnissen, Zielen. Nietzsche wollte allerdings nicht nur destruktiv im Pessimismus des Nihilismus (Verweigerung von Lebenssinn) verharren wie Schopenhauer, sondern suchte willentlich eine Perspektive zur Überwindung des Nihilismus. Wie als würde es einen Moment geben, in dem ein Körper der vom Fluss getrieben wird innehält und bewusst das Schwimmen lernt und sich von dort an durch die Fluten bewusst und zielerkannt steuert, gibt es im Leben ein Moment, der vereint, dass ein Mensch «zu dem Mensch wird, der er ist» und darüber hinaus meta-denkend, die Welt wie von oben herab betrachtet, all die Strukturen und Sinne empirisch erkennt, assimiliert und voraussehbar antizipierend, sein Leben in die Hand nimmt. Erst dann lichtet sich der Wald in Dir, und du hast deine Lichtung, die Erkenntnis erreicht, wofür du auf dieser Welt geboren wurdest, und wie du das erreichst. 

«Freiheit im Scheitern»: Lucien, der Unabhängige

«Lucien, wie kommst du dazu in der Stable auszustellen? Wie habt ihr beiden Fritz [Steinhart] und Du euch kennengelernt?» Lucien Smith ist für seinen Freiheitssinn bekannt. Er schätzt Kooperationen, doch lässt er sich von keiner Galerie einen Zaum anlegen. Innerhalb von nur einigen Jahren kletterten seine Marktpreise eine steile Leiter hinauf, und es rissen sich Galeristen, Sammler, und Nutzniesser um das Wunderkind mit scharfem Sinn, schneller Zunge, keckem Lachen und punktlandendem Talent. 

Lucien: «Ich habe auf Instagram gesehen, dass Fritz eine Show produzierte, in der zwei Freunde von mir involviert waren – Adrian Schachter und Maia Twombly. Und ich war gerade dabei diese Serie anzugehen. Anfangs beschäftigte ich mich mit einer Art Vor-Motiv – ich setzte mich mit Dornenzweigen auseinander und versuchte mich am biblischen Motiv des Rosenbuschs. Und als ich diesen Space sah – hab ich mir gedacht: wow Mann, das ist wo ich diese Bilder zeigen muss! Dann habe ich kurzerhand Adrian und Maia kontaktiert, und sie haben uns sofort vernetzt.» 

Titelgebend ist die Metapher «Freiheit im Scheitern». Smith erklärt wie folgt, dass in jedem Scheitern, der Raum und die Opportunität für Erfolg sich verstecken. Diese Metapher ist nicht nur in den Werken verarbeitet, sondern wird auch in Lucien Smiths Beziehungen und Wahl von Galeristen und Ausstellungsorten deutlich. Als unabhängiger Künstler sieht er seine grösste Freiheit in der Abwesenheit von einer gut funktionierenden, aber einschränkenden Beziehung mit einer Galerie. «Schau, wir redeten das erste Mal [mit Fritz Steinhart] vor 2,5- 3 Monaten und hier stehen wir. Hätte ich den Zaum einer Galerie gehabt, hätten die institutionellen Hergänge sicherlich über ein Jahr gebraucht. Und vielleicht hätte eine herrische Galerie soviel ihren roten Stift gezogen, dass es sogar niemals zu dieser Möglichkeit und so gekommen wäre. 

Auch ist die Freiheit grösser, Werke zu kreieren, die nicht für kahle, weisse white-cube Wände vorbestimmt sind; sondern ersteinmal Werke frei von Zielhängung zu erschaffen möchte ich, und sie dann erst an einem passenden Ort platzieren. Hätte ich diesen Ort nicht entdeckt, wären diese Bilder wohl nie physisch ausgestellt worden, und hätten höchstens online gelebt.»

Freiheit im Schober – das Konzept der Stable S-chanf

Die Stable S-chanf ist nämlich keine klassische Galerie in dem Sinn. Dass die Kunstszene sich im Engadin nachhaltig verjüngt, haben schon ein paar Vorreiter bewiesen, allerdings alle mit anderen Nischen. Fritz Steinhart ist gelernter Galerist (Laufbahn unter anderem in der Galerie König, Berlin), aber auch Querdenker und praktischer Macher mit Vision. Auf der einen Seite stehen im Vordergrund schlanke Strukturen und effiziente Abläufe, um jungen Künstlern, die Möglichkeit und Zugang zu geben zu diesem einmaligen Engadiner Kunstmarkt, der doch nur schwer zu penetrieren ist. 

Auf der anderen Seite erhöht Steinhart das Angebot im Engadin auf ein Royal Flush der jungen internationalen Kunstszene, mit einer Selektion von jungen Talenten, die klug aufgefächert, die Magnetkraft vom Anti-Potjemkin-Dorf S-chanf frisch, mutig und sichtbar aufrundet: Er stellt befreundete Künstler wie Adrian Schachter, Mario Baldassare oder noch Maia Twombly aus, bis zu internationalen Topshots wie aktuell Lucien Smith, und ergänzt sie inkludierend mit sorgfältig ausgesuchten jungen einheimischen Engadiner Künstlern, wie im Winter Patrick Salutt, denen er dadurch, zu diesem internationalen Netzwerk Eintritt verschafft.

Show zwei für die Stable S-chanf: Punktlandung. Quo Vadis ? Vamos a ver!

 Lucien, hast du deine Lichtung gefunden?

«Ich erlaube mir gewisse Freiheiten ja. (…) Bei diesen Werken zum Beispiel. Wir hatten uns geeinigt darauf, diese Show zu machen, in der diese Werke ausgestellten werden würden. Und ich hatte diese Freiheit, diese Bilder zu verwandeln. Sie starteten als Studie von Rosendornen. Ich erlaubte mir mich zu öffnen – ein wenig. (…) Hier sieht man ein wenig, diese Bilder hier (er zeigt auf zwei Werke) haben noch klar und deutlich ein paar Dornen auf den Zweigen. Aber andere sind klar reine Kompositionsstudien. Und alle sind leicht unterschiedlich voneinander, was zumindest die Technik betrifft, mit der ich die Farbe auftrug. Und das ist genau da, wo der Titel sich verwirklicht: zu erlauben die Freiheit sich entfalten zu lassen.»

Doch Smith grenzt auch sehr präzise die Freiheit seiner Technik mit Willkür ab. Jedes Werk, erklärt er, fängt mit der freien Setzung zweier Pinselstriche an, doch schnell beginnt der präzise Aufbau der Balance des Bildes. Seines Sinns. Jedes Bild ist wie die Sinnesfindung des Lebens – jedes hat sich vom Nihilismus und der Willkür abgewandt und baut sich seine Metastruktur auf.

Poetisch ausgedrückt, reimt sich auf den Prozess des Schaffens der Werke, der Prozess im Leben die eigenen Dornen abzuwenden und zu der eigenen Ruhe, der «Waldeinsamkeit» und darüber hinaus zu finden. «Ich glaube, führt Smith fort, jeder kann sich in das Thema Suche nach einer Lichtung im Wald hineinversetzen. Wir haben alle einen Wald in uns. Wir alle versuchen aus unserem Wald herauszubrechen. Aber wir wissen alle nicht, was ausserhalb unseres Waldes ist und kommen wird, bis wir dorthin gelangen. Das ist die Idee hinter der Findung des Lebenssinns. Wir alle versuchen wohin zu kommen. Aber wissen zuerst noch nicht wohin, bevor wir diese Lichtung erreicht haben. (…) Mein Lieblingsfilm ist Fight Club.(…) Dort gibt es einen Quote «Unser Krieg ist ein spiritueller Krieg» und ich denke, diese Bilder repräsentieren diesen existenziellen Weg, den wir alle beschreiten.»

«Lucien, hast du deine Lichtung gefunden?»

«Ich denke schon. Meine Kunst steht nicht nur für sich selbst, sondern ich habe sie oft benutzt und mich selbst als Testimonial für die Organisation, die ich aufgebaut habe: «Serving the people». Es ist eine digitale Plattform, die hungrig ist nach Kooperationen und bei der es darum geht, jungen Künstlern mehr Sichtbarkeit und Chancen zu geben.»